Norbert Sendor: Als ich vor 75 Jahren die Lobau entdeckte

Norbert Sendor feierte am 2. Mai 2023 in ungebrochener geistiger Frische seinen 87. Geburtstag. Er ist Vorsitzender unseres Vereins und der letzte der alten Lobau-Waldläufer.

April 2023

Er hat vor fünfzig Jahren im Rahmen der Bürgerinitiative „Lobau darf nicht sterben!“ mit seinen Naturfotos maßgeblich dazu beigetragen, die Lobau vor Straßenbau- und Industrieprojekten zu retten.

Er hat in klaren Lobaugewässern getaucht, die mittlerweile komplett ausgetrocknet sind und dort eine Vielfalt an Fischen, Muscheln und Schnecken erlebt, die heute undenkbar erscheint.

Und er kann es nicht fassen, wie gleichgültig die Wiener Stadtregierung in den vergangenen 15 Jahren mit diesem Naturjuwel umgegangen ist.

Vor 75 Jahren hat Norbert Sendor zum ersten Mal den Zauber der Lobau verspürt. Bis heute kann und will er sich ihm nicht entziehen. Und so nahm alles seinen Anfang:

„Eigentlich war es zunächst nicht die Lobau, die ich entdeckte, sondern das einstige Überschwemmungsgebiet, das die Wiener jedoch der Einfachheit halber als „Lobau“ bezeichneten. Die „echte“ Lobau lag dahinter, außerhalb des Dammes.

Es muss 1948-49 gewesen sein, ich bin noch in die Schule gegangen, der Krieg war noch nicht lange vorbei, öffentliche Verkehrsmittel, aber auch Straßen und Brücken waren erst in Ansätzen repariert.

Um vom dritten Bezirk etwa auf der Höhe der jetzigen Süd-Ost-Tangente an das andere Donauufer zum Überschwemmungsgebiet zu gelangen, musste man zunächst auf einer Rollfähre den Donaukanal überqueren.

Juni 1953 (ganz rechts)

Danach ging es zu Fuß durch den Prater bis zur Donau. Dort konnte man, je nach Wetter, je nach Tageszeit und je nach Verfassung des Bootsführers auf einem Motorboot den Strom überqueren. Die Preise waren moderat, die Leute hatten ja kein Geld.

Für die Rückfahrt musste man sich vom anderen Ufer mit Handzeichen bemerkbar machen und mit einer am Landungssteg befestigten Glocke. Wenn man Pech hatte, war der Fährbetrieb bereits eingestellt. Dann blieb einem nichts anderes übrig, als den langen Weg bis zur Reichsbrücke anzutreten. Erst Jahre später siedelten sich stromab zwei weitere Fährunternehmen an.

SUCHE NACH EXOTISCHEN FISCHEN

Bei meinem Freund, dem Tafner Heinzi, im Haus wohnte zu jener Zeit ein gewisser Loewe. Nach seinen Angaben war er einer der ersten Mitarbeiter von Otto Koenig an der Biologischen Station Wilhelminenberg. Interessant war er für uns, weil er in seiner Wohnung riesige Aquarien stehen hatte, in denen er exotisch wirkende, heimische Fische hielt, von denen wir keine Ahnung hatten, wie zum Beispiel Schlammbeisser, Steinbeisser und viele andere.

An einem schönen Spätsommertag wanderten wir also zu Dritt, der Herr Loewe als Führer, der Tafner Heinzi und ich, von Erdberg, wo wir zu  Hause waren, durch den Prater zur Donau, um die wunderbare Welt, aus der diese Fische kamen, endlich mit eigenen Augen zu sehen.

Beim Fischrestaurant Lindmayer suchten wir nach dem Fährmann, der uns bald mit einem kleinen Motorboot zum gegenüberliegenden Ufer brachte. Er schärfte uns noch ein, dass wir spätestens zu einem bestimmten Zeitpunkt zurück sein müssten, ehe der Fährbetrieb für diesen Tag eingestellt würde.

Am nördlichen Donauufer, wo jetzt die Donauinsel liegt, befand sich das Überschwemmungsgebiet. Die Landschaft war wesentlich strukturierter als die jetzige Donauinsel. Durch den spätsommerlichen Wasserstand gab es langgestreckte Sand- und Schotterflächen mit vielen Teichen, Tümpeln und Pfützen unterschiedlicher Größe und Tiefe. Um bei eventuellen Hochwässern, die damals noch regelmäßig kamen, den Wasserabfluss nicht zu behindern, ließ man große Bäume nur entlang des Hubertusdammes wachsen, wo sie die Aufgabe hatten, den Damm bei Winterhochwasser vor Eisschollen zu schützen.

Genau vis-à-vis vom Fischrestaurant, ein Stück stromabwärts der Ostbahnbrücke, erreichten wir einen langen, flachen Ausstand. In den vom letzten Hochwasser zurückgebliebenen Tümpeln war alles drin, was es in der Donau gab: Da waren Schrätzer drinnen, Zingel und Streber waren drinnen, Barben, Welse, Bitterlinge – also das ganze Spektrum der Donaufische. Steinbeisser auch, und zwar so große, wie ich sie nie wieder gesehen habe.

Das war für mich das Paradies, davon hatte ich geträumt, auch aufgrund der Erzählungen meiner Mutter, die in der Zwischenkriegszeit arbeitslos war und oft mit Freunden drüben am Überschwemmungsgebiet gezeltelt hat. Sie hat mir von großen Tieren berichtet, die es dort geben würde – von Hirschen. Ich war fasziniert und bald war mir klar: Das musste ich einmal sehen!

Nach diesem ersten Ausflug ins Überschwemmungsgebiet blieb die „Lobau“ für mich wieder eine Weile unerreichbar. Wir waren arm, die Überfuhr hat Geld gekostet, und da waren noch die vielen Hochwässer, die mehrmals im Jahr ein Überqueren des Stromes verhindert haben. Der Weg über die Reichsbrücke war ohne Fahrrad ein „irrsinniger Hatscher“.

DAS UNENTDECKTE LAND

Unsere Phantasien galten dem sagenumwobenen Land jenseits des Überschwemmungsgebietes: der Unteren Lobau. Das war für uns unerforschtes Gebiet.

September 1997

Ich kann mich noch dunkel an einen Bericht im „Wiener Kurier“ erinnern, in dem ein Reporter beschrieb, wie schwierig bzw. wie unmöglich es sei, die Untere Lobau zu erreichen. Ab der Panozzalacke war Sperrgebiet. Die Reste des zerbombten Tanklagers und diverse Kriegsrelikte waren gefährlich und blockierten den Weg. Lager und Ölhafen waren in der Hand des sowjetischen Militärs.

Mein Freund, der Tafner Heinz und ich gelangten 1950 zu dem Schluss, dass uns nur das Durchschwimmen der Donau und die Durchwanderung des Überschwemmungsgebietes an unser ersehntes Ziel bringen kann.

Da wir schon oft in der Donau schwimmen waren und es kaum Schiffsverkehr gab, sollte der Trip über den großen Strom kein Problem darstellen.

Der Tafner Heinz, sein Hund und ich starteten die Expedition ungefähr einen Kilometer östlich der Stelle, an der jetzt die Süd-Ost-Tangente die Donau quert. Das Wasser war relativ sauber. Die Abwässer der Stadt gelangten erst weiter stromabwärts über den Donaukanal in den Strom. Wir schwammen sehr gemütlich und landeten zirka 600 Meter östlich von unserem Einstieg am anderen Ufer.

Nach einer längeren Wanderung durch die Wildnis des Überschwemmungsgebietes trafen wir auf den Ölhafen, von dem wir bis dahin kein Wort gehört hatten. Den mussten wir ebenfalls schwimmend überqueren. Dass das streng verboten war, wussten wir nicht.

Ein einsamer sowjetischer Wachposten würdigte uns keines Blickes, ansonsten war niemand zu sehen.

DAS STILLE PARADIES

Nachdem wir eine Zeit lang die absolute Stille und Ruhe, die diese Landschaft ausstrahlte, genossen hatten, machten wir uns auf den Rückweg zu unserem Ausgangspunkt am Freudenauer Winterhafen.

April 2018

Ab etwa 1952 galt unsere neue große Leidenschaft dem Tauchen und wir durchstreiften die Untere Lobau auf der Suche nach klaren Gewässern. Östlich des Donau-Oder-Kanals ist man (außer dem Jagdaufseher) auf keinen einzigen Menschen getroffen.

Hier hatte ich endlich meine erste Begegnung mit einem Hirsch. Um diese Zeit herum begann ich auch mit der Naturfotografie.

Die Gegend erschien uns wahrhaftig wie das Paradies.  Die einzigen technischen Geräusche, die man fallweise hören konnte, kamen vom Ölhafen.  Für die dominierende Geräuschkulisse sorgte die Natur: Eulen, Reiher, das Klingeln ziehender Enten, schreckende Rehe …

An windstillen Abenden war die Au so ruhig, dass man die Kirchenglocken und die bellenden Hunde aus den umliegenden Dörfern hören konnte.“

Kommentare

  • <cite class="fn">Helmut Sattmann</cite>

    Danke für diese berührende Schilderung aus einer schwierigen Zeit, die aber für die Natur eine viel bessere war als die jetzige. Umso lauter soll der Ruf erschallen: Lobau soll leben!

  • <cite class="fn">Robert Wra</cite>

    sehr schöne Erzählung, wohne in kaisermühlen, bin dort aufgewachsen, die donauwiese samt stürzl war vor allem im Sommer mein zweites Zuhause, für Kinder ideal zum spielen, als Jugendlicher die Liebe nicht nur zur Natur sondern auch für das andere Geschlecht entdeckt, leider hat die Donauinsel das Paradies zerstört, und wir sind dann zum toten Grund und in die lobau gewandert, das war damals noch sehr unberührt und unkultiviert schön.

  • <cite class="fn">Christa Reitermayr</cite>

    Danke, lieber Norbert für diesen Beitrag! Er macht so viel Lust auf die Lobau und fordert gleichzeitig ihren Schutz ein!

  • <cite class="fn">Karin Flor (ehem. Feiler)</cite>

    Ich bin jetzt auf diesen Artikel gestoßen, weil ich eigentlich etwas über einen alten Freund meiner Eltern finden wollte, Gerhard Dostal. Mein Vater, Alfred Feiler, hat mit ihm, Franz Antonicek (Cousin) und vielen anderen seine Jugend in der Lobau verbracht. Der Name Norbert Sendor ist mir ein Begriff. Ich selbst habe dann meine Kindheit in der Lobau verbracht, nachdem wir eine Hütte an der Donau hatten, die aber dann dem Kraftwerk weichen musste. Leider habe ich nur sehr wenige Fotos von der Gegend davon. Ich würde mich freuen, wenn ich mehr bekommen könnte….
    LG Karin F.

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