Die Donau kann die Untere Lobau retten – doch Wien stellt sich quer

Der folgende Artikel erschien unter dem obigen Titel zuerst Ende Dezember auf meinbezirk.at (Die Donau kann die Untere Lobau retten – doch Wien stellt sich quer). Die Idee war, die zeitliche Nähe zum “Weihnachtshochwasser” 2023 in der Unteren Lobau zu nutzen, um einem breiteren Publikum wesentliche Fakten zum Problem der Unteren Lobau nahezubringen. Der Artikel war überraschend erfolgreich: Er hatte binnen kurzer Zeit mehr als 20.000 Aufrufe (per 31.1.24: 21.100).

Viel Regen und Schneeschmelze im Einzugsgebiet der Donau sorgten zu Weihnachten auch in der Unteren Lobau für prall gefüllte Gewässer und Überflutungen. Was die ehemalige Flussau aber bräuchte, ist eine Wiederanbindung an die Donau.

Das “Weihnachtshochwasser” 2023 war das zweitstärkste Hochwasser an der Donau seit 2013 und brachte auch viel Wasser in die Untere Lobau: Die Gänshaufentraverse war überflutet, das Wasser stand dort bis zu 30 cm hoch (siehe Titelbild). [Anm.: Die als Titelbild auf meinbezirk.at verwendete Aufnahme ist Bild 3 der Galerie auf Untere Lobau: Weihnachtshochwasser 2023] Im Juni 2013 hätte man solche Aufnahmen nur vom Boot aus machen können – beim damaligen 100- oder sogar 200-jährlichen Hochwasser war der Pegel, kaum vorstellbar, noch um mehr als zwei Meter höher.

Es war erfreulich, die großen Gewässer, vom Eberschüttwasser bis zum Schönauer Wasser, prall gefüllt zu sehen und zu beobachten, wie sie sich mit längst trocken liegenden Altarmen verbinden, die plötzlich wieder Wasser führen. Doch der Schein trügt: Die Überflutungen in der Unteren Lobau sind kein wirklicher Segen. Sie haben mit Hochwässern, wie sie in einer naturbelassenen, dynamischen Au auftreten, nur wenig zu tun. Sie verdanken sich einer Lücke im Schutzdamm stromabwärts bei Schönau an der Donau, dem “Schönauer Schlitz”. Durch diese etwa 20 Meter breite Lücke strömt Donauwasser durch einen schmalen Altarm von unten in das Augebiet – von der Maschekseite, wie man in Wien sagen würde.

Genau das ist das Problem. Denn die mitgeführten Schwemmstoffe führen zu Sedimentablagerungen im unterem Abschnitt des Gewässerzugs, die mangels ausreichender Durchströmung von oben auch dort verbleiben. Gleichzeitig gelangt das nährstoffreiche Donauwasser (Stickstoff, Phosphor) je nach Pegel weit hinauf, im Extremfall bis nach Groß-Enzersdorf. Das fördert das Pflanzenwachstum in den Stillgewässern, der Hauptgrund für ihre fortschreitende Verlandung: Immer mehr organisches Material lagert sich am Gewässerboden ab, es bilden sich Schlammauflagen, die Gewässer werden immer seichter und wachsen von den Rändern her zu, bis sie letztlich verschwinden.

Um einen solchen Eintrag von Nährstoffen durch diese Hochwässer “von unten” zu begrenzen, ist auch das Wehr an der Gänshaufentraverse dann in der Regel geschlossen. Das war aber auch zu Weihnachten 2023 wieder einmal eher zwecklos (siehe Bild).

Bild: Robert Poth

Einzige Rettung: Anbindung an die Donau. Die Untere Lobau kann als Flussau langfristig nur durch eine (bereits vor Jahrzehnten diskutierte) Wiederanbindung an die Donau erhalten werden, die das Gebiet auch gegenüber Hochwasserwellen wie der jüngsten zu Weihnachten öffnet. Nur Hochwässer “aus der richtigen Richtung” sind in der Lage, die mittlerweile teils mehr als einen Meter hohen Schlammauflagen und die Sedimentablagerungen auf den Gewässerböden in der Unteren Lobau auszuräumen.

Selbst Dotationen mit bis zu 80 Kubikmeter pro Sekunde – das entspricht der mittleren Wasserführung der Enns bei Admont (!) – können die Untere Lobau langfristig nicht retten. Das ist eine quasi amtliche Erkenntnis. Sie ist dem im Juni 2015 erschienenen Endbericht einer Studie zu entnehmen, die von der Stadt Wien in Auftrag gegeben wurde: “Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 45 – Wiener Gewässer: Gewässervernetzung (Neue) Donau – Untere Lobau (Nationalpark Donau-Auen)”. Darin heißt es auf Seite 12 (Hervorhebung durch den Autor):

Allerdings ist nur mit einer Dotation aus der Donau mit 20 m³/s bis 80 m³/s eine nennenswerte Dynamisierung zu erreichen. Trotz Verlangsamung des Verlandungsprozesses reichen jedoch auch diese Wassermengen zur nachhaltigen Reduktion der fortschreitenden Verlandung nicht aus.

Es müsste sozusagen geklotzt und nicht gekleckert werden, so lässt sich der Befund der Fachleute interpretieren.

Die Stadt Wien als Auftraggeberin der Studie weiß also nur allzugut, dass die Untere Lobau als Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung ansonsten keine Zukunft hat, sich in einen gewöhnlichen Wald verwandeln wird und zahlreiche geschützte Tierarten ihr Habitat verlieren werden. Die Stadt Wien weiß auch, dass sie insbesondere aufgrund der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) der Europäischen Union verpflichtet ist, jede Verschlechterung des Erhaltungszustands der Unteren Lobau, Teil des Nationalparks Donau-Auen und Europaschutzgebiet, zu verhindern: Mitgliedsstaaten haben gemäß FFH die „geeigneten Maßnahmen“ zu treffen, „um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden” (Art. 6 Absatz 2 FFH).

Erhaltung der Unteren Lobau für Wien zu teuer. Wien weigert sich jedoch seit 2015 kategorisch, Zufuhren von Wasser in die Untere Lobau zuzulassen. Denn die im Rahmen der Studie von 2015 vorgenommenen Modellierungen ergaben auch, dass die Trinkwasserqualität des vom Grundwasserwerk Lobau in der Unteren Lobau geförderten Wassers dadurch beeinträchtigt werden könnte. Das wäre selbst bei geringen Mengen von Wasser aus der Neuen Donau der Fall, mit dem die Obere Lobau seit den 1990er Jahren notdürftig am Leben erhalten wird. Es darf daher aus Sicht des Rathauses nicht einmal “gekleckert” werden. Denn das GWW Lobau verfügt seit den 1960er Jahren bloß über eine Desinfektion (Chlordioxid) und keine Aufbereitungsanlage, mit der es möglich wäre, die Trinkwasserqualität trotz Dotationen sicherzustellen.

Die Kosten einer Aufbereitungsanlage für das Werk werden im Rathaus aber für zu hoch gehalten. Umweltstadtrat Jürgen Czernohorszky erklärte etwa im Gemeinderat Ende 2020 dazu: “Ich möchte das deutlich sagen: Eine Trinkwasseraufbereitung wäre aktuell völlig undarstellbar, wirtschaftlich. Kein Rechnungshof der Republik, ob Stadtrechnungshof oder Bundesrechnungshof würde solche Kosten auch nur entfernt akzeptieren können.”

Geld plötzlich kein Problem. Nun, drei Jahre danach. beabsichtigt die Stadt jedoch, viel Geld in die Infrastruktur der Wasserversorgung zu investieren, nämlich wieder laut Stadtrat Czernohorszky “jedes Jahr bis zu 100 Mio. Euro”, wie im März 2023 angekündigt wurde (siehe Rathauskorrespondenz, Wien sorgt mit Großinvestitionen für Wasserversorgung vor). Geplant ist nicht nur ein Ausbau des Wasserspeichers in Neusiedl im Steinfeld, wofür 98 Mio. Euro bewilligt sind (siehe Bericht auf meinbezirk.at, 98 Millionen Euro für Wiener Wasserversorgung fixiert). Vorgesehen ist auch eine gemeinsame Aufbereitungsanlage für das Wasser aus den Grundwasserwerken Donauinsel-Nord und Nussdorf auf der Donauinsel. Die Zielkapazität wird mit 22 Prozent des mittleren Trinkwasserverbrauchs in Wien angegeben, das sind 86.000 Kubikmeter pro Tag – mehr als das Grundwasserwerk Lobau in der Regel liefern kann.

Die Stadt Wien scheint also mit zweierlei Maß zu messen: Für eine Aufbereitung für Donauinsel und Nussdorf gibt es Geld, aber Investitionen in eine Aufbereitungsanlage für das GWW Lobau wären Verschwendung – auch wenn die Untere Lobau dadurch dem Untergang preisgegeben wird, entgegen den naturschutzrechtlichen Verpflichtungen Wiens. Es stellt sich die Frage, ob diese Position der Stadtregierung dem Willen der Wienerinnen und Wiener entspricht.

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