Braucht Wien das Grundwasser aus der Lobau?

Die Zukunft der Unteren Lobau, eines der Kerngebiete des Nationalparks Donau-Auen, ist düster. Sie trocknet aus und verlandet. Rettende Managementmaßnahmen werden durch die Brunnen des Grundwasserwerks Lobau verhindert: Es sei unmöglich, so heißt es, die Untere Lobau mit Wasser aus der Donau zu revitalisieren, weil dies die Brunnen gefährden würde. Und das Wasser aus der Lobau sei für die Stadt Wien unverzichtbar. Ist das auch wirklich wahr?

DIE TRAURIGEN FAKTEN

  • Derzeit verliert die Lobau durch Verlandung bis zu 3,5 Prozent der Wasserflächen pro Jahr (!).
  • Die Verlandungsraten beschleunigen sich signifikant.
  • Ohne Management-Maßnahmen werden die meisten Feuchtgebiets- und Wasserflächen der Lobau innerhalb der nächsten Jahrzehnte verschwinden.
  • In der Wiener Lobau sind bereits zwischen 1938 und 2010 etwa 34 Prozent der Feuchtgebiets- und Wasserflächen durch Verlandungsprozesse verloren gegangen.

Die jahrzehntealten Pläne und Initiativen, die wertvolle Untere Lobau massiv mit Wasser aus der Donau oder aus der Neuen Donau zu speisen, sind 2015 zum Stillstand gekommen.

Der Grund: Es heißt, dass jede Art von Wassereinleitung aus der Donau oder der Neuen Donau die Brunnen des Grundwasserwerks Lobau und damit die Wasserversorgung Wiens gefährden würde.

Im Moment gibt es keinerlei Ausblick, keine Lösung und keine Hoffnung. Damit ist die Lobau, so wie wir sie kennen, trotz Nationalparks zum Sterben verurteilt.

KEINE LÖSUNG IN SICHT

Im 2015 veröffentlichten Endbericht der von der Stadt Wien in Auftrag gegebenen Studie „Gewässervernetzung (Neue) Donau – Untere Lobau (Nationalpark Donau-Auen)“ wird die Situation wie folgt festgehalten und eingefroren:

  • „Es ist eine Verbesserung der hydrologischen Verhältnisse erforderlich, um die ökologische Funktionsfähigkeit der Unteren Lobau im Einklang mit den Zielen des Nationalparks nachhaltig zu sichern.“ 
  • „Auf Basis der Untersuchungsergebnisse kann eine Dotation der Unteren Lobau aus der Donau oder der Neuen Donau aus Gründen der mikrobiologisch-hygienischen Qualität des Grundwassers daher nicht empfohlen werden.“ 
  • „Somit stehen längerfristig die Nutzungsinteressen des Menschen in Bezug auf die Ressource „Trinkwasser“ der Erhaltung bzw. Verbesserung des Auencharakters der Unteren Lobau entgegen. Geeignete Lösungen dieses Konfliktes müssen zukünftig noch entwickelt werden.“

Jedoch: Seit 2015 wurden keinerlei „geeignete Lösungen“ entwickelt und keine diesbezüglichen politischen Entscheidungen getroffen.

Die Stadt Wien scheint auf dem Standpunkt zu stehen (und darauf lassen Aussagen von maßgeblichen Politikern schließen), dass die Lobau eben austrocknen würde und dass man da nichts dagegen tun könne – Europaschutzgebiet und Nationalpark hin oder her.

Auf der einen Seite steht also der Naturschutz, der Nationalpark und die Vielfalt der Tiere und Pflanzen, auf der anderen Seite das Grundwasserwerk Lobau und die Stadt Wien, die selbiges in “Trinkwasserqualität” für die Wasserversorgung der Wiener als unverzichtbar darstellt.

Dem gegenüber steht eine Vielzahl von sachlichen Argumenten, die bis jetzt noch niemand entkräftet hat.

Zunächst geht es gar nicht um „Trinkwasser“ im eigentlichen Sinn. Denn die Wassermengen, die als „Trinkwasser“ Verwendung finden – zum Trinken, zum Kochen, für Haustiere, medizinische Zwecke usw – machen nur einen Bruchteil des in Wien insgesamt verwendeten Wassers aus. Abgesehen vom Bedarf von Industrie und Gewerbe wird in Wien Trinkwasserqualität eingesetzt, um Klos zu spülen, um Gärten und Parks zu bewässern, um Autos zu waschen und um die Straßen abzuspritzen. Es werden also nicht nur die Haushalte, sondern sämtliche Wasserverbraucher aus demselben Versorgungsnetz bedient – auch Großverbraucher, die keine Trinkwasserqualität benötigen.

Ist die Wassergewinnung in der Lobau also so wichtig, dass Wien dafür auf die charakteristischen Lebensgemeinschaften und Landschaftselemente der Lobau zu verzichten bereit ist? So wichtig, dass die Grundwasserbrunnen über den Nationalpark und das Europaschutzgebiet gestellt werden?

BRAUCHT ALSO WIEN TATSÄCHLICH DAS GRUNDWASSER AUS DER LOBAU?

Bei Verbrauchsspitzen und Wartungsarbeiten an den Hochquellenleitungen: NEIN

Mit den großen Speicherbehältern in der Stadt und mit den neuen Grundwasserwerken Moosbrunn und Donauinsel-Nord wären mehr als genug Reserven vorhanden. Das Grundwasserwerk Donauinsel-Nord ist jedoch (ebenso wie das Grundwasserwerk Nussdorf) wegen einer fehlenden Wasseraufbereitungsanlage – abgesehen von temporären Notfallssituationen – de facto unbenutzbar. Der Grund: eine politische Entscheidung. Umweltstadträtin Ulli Sima ließ 2006 die von ihren Vorgängern sieben Jahre lang geplante und bereits genehmigte, zentrale Wasseraufbereitungsanlage für das Wiener Grundwasser wieder in der Schublade verschwinden. Die dafür bereits genehmigten Mittel wanderten in andere Projekte. Seitdem sind Donauinsel-Nord und Nussdorf für die Wiener Wasserversorgung praktisch nutzlos.

Würde man heute auf das Grundwasserwerk Lobau verzichten, stünde der Stadt durch die Inbetriebnahme der Wasserwerke Moosbrunn (2006) und Donauinsel-Nord (2015) noch immer mehr Grundwasser zur Verfügung als in den Jahrzehnten davor. Von der Option des alten Grundwsserwerks Nussdorf gar nicht zu reden.

Wasserreservoir Schotterkörper nördliche Donauinsel

Niemand, weder die Stadtverwaltung noch die Opposition, hat vor der Errichtung der beiden neuen Werke auch nur angedeutet, dass die Trinkwasserversorgung Wiens nicht gesichert sei.

Bei längeren Ausfällen einer der beiden Hochquellenleitungen: NEIN

Zum Beispiel bei Stilllegungen für Reparaturen, welche die routinemäßigen Stillstandszeiten übersteigen: NEIN

Stünde das Grundwasserwerk Lobau nicht zur Verfügung, könnte selbst unter ungünstigsten Voraussetzungen – bei Annahme eines hohen Verbrauchs und bei sehr eingeschränkter Verfügbarkeit der Grundwasserwerke Moosbrunn und Donauinsel Nord – eine der beiden Hochquellenleitung planmäßig für mindestens zwei Wochen stillgelegt werden, ohne Wiens Trinkwasserversorgung zu beeinträchtigen.

In Monaten mit geringem Durchschnittsverbrauch und bei einer der Nennkapazität entsprechenden Verfügbarkeit des Grundwassers aus Moosbrunn und Donauinsel-Nord würde sich dieser Zeitraum sogar auf mindestens drei bis vier Wochen bis maximal drei Monate ausdehnen.

Zum Beispiel bei Erdbeben, Terror und plötzlich auftretenden massiven Gebrechen: NEIN

Solche Ereignisse werden von der Stadt Wien bzw. der zuständigen Abteilung MA 31 gewissermaßen für unerheblich gehalten.

Dazu Statements des Chefs der Wasserwerke Wolfgang Zerobin 2008: Chemischer Terroranschlag „Es ist äußerst unrealistisch, dass so etwas passiert“. Tschernobyl-Reaktorunfall „Eventuelle Strahlungsemittenten werden ohnehin bis zum Zapfhahn rausgefiltert“.

Für einen gelassenen Standpunkt der Stadt zu möglichen Katastrophen spricht die oben erwähnte Tatsache, dass der Bau der zu einem guten Teil bereits finanzierten, durchgeplanten und ministeriell genehmigten, zentralen Grundwasser-Aufbereitungsanlage am Kleehäufel wieder abgesagt worden ist. Dieses Projekt hätte unter anderem das Ausfallsrisiko des Grundwasserwerks Lobau – auch bei Hochwässern – weitgehend eliminiert.

Das vorrangige Ziel der projektierten, aber wieder abgesagten Aufbereitungsanlage für sämtliche Wiener Grundwasserbrunnen war die Versorgungssicherheit in unvorhersehbaren Fällen. (Michael Häupl: „Qualität der Daseinsvorsorge“).  Dass die Stadt Wien 2006 in letzter Sekunde auf den Bau dieser Aufbereitungsanlage verzichtet hat, ist das überzeugendste Indiz dafür, dass die Gemeindeväter das Auftreten von Katastrophen-Ereignissen für ein vernachlässigbares Risiko halten, gegen das man sich nicht absichern muss.

Mit oder ohne Grundwasserwerk Lobau: Bei einem extremen Katastrophenfall (beide Hochquellenleitungen fallen gleichzeitig aus) müsste Trinkwasser ohnehin rationiert werden. Näheres ist wahrscheinlich den unter Verschluss gehaltenen Notfallplänen zu entnehmen. In ärgster Bedrängnis könnte Wien übrigens auch auf die selten erwähnten Grundwasserwerke Nussdorf und Pragerstraße zurückgreifen.

Die MA 31 hält am 13. Februar 2020 fest:

“Die Verwendung des Wasserwerkes in der Unteren Lobau erfolgt überwiegend aus Gründen der unmittelbaren Verfügbarkeit des Wassers in Stadtnähe, der sicheren Einbindung des Wassers in das übergeordnete Transportleitungsnetz, der jahrzehntelangen positiven betrieblichen Erfahrungen sowie aus wirtschaftlichen Gründen.”

Anmerkung: Die Verwendung des Wasserwerkes erfolgt also nicht, weil das Wasser aus der Lobau für die Versorgung der Stadt Wien “unverzichtbar” sei.

ZUSAMMENGEFASST

Wien schätzt das Risiko eines unvorhergesehenen längeren Totalausfalls einer der beiden Hochquellenleitungen als vernachlässigbar gering ein – so gering, dass auf eine zentrale Grundwasser-Aufbereitungsanlage verzichtet werden konnte.

Daher kann die Stadt Wien nicht mit “unvorhergesehenen Ereignissen” argumentieren, um den Betrieb des Grundwasserwerks Lobau zu rechtfertigen.

Dazu kommt, dass das Trinkwasser aus der Lobau derzeit und seit jeher aufgrund von zufallsverteilten Hoch- und Niederwasserständen der Donau nur eingeschränkt oder im Extremfall überhaupt nicht zur Verfügung steht.

Die Stadt selbst begründet den Betrieb des Wasserwerks Lobau mit “Stadtnähe, positiven betrieblichen Erfahrungen” und “wirtschaftlichen Gründen” – nicht mit mangelnden Wasserressourcen.

Was bringt also das Wasserwerk Lobau? Wir haben nur einen einzigen stichhaltigen Vorteil  ausfindig machen können:
Müsste eine der beiden Hochquellenleitungen planmäßig über einen längeren Zeitraum stillgelegt werden und das Grundwasserwerk Lobau stünde zu dieser Zeit gerade ohne Hoch- oder Niederwasserbeeinträchtigung voll zur Verfügung, wäre der mögliche Zeitraum für eine solche Stilllegung natürlich weitaus größer als ohne Grundwasserwerk Lobau.

Die Frage lautet: Was ist der Stadt Wien dieser spezielle Vorteil wert?
Ist er es wert, auf die Bewahrung der Lobau als Nationalpark und Europaschutzgebiet zu verzichten?

 

Recherchen: Robert Poth, Manfred Christ
Grafiken: Robert Poth

(Nachdem nicht alle vermeintlich aufschlussreichen Daten öffentlich zugänglich sind, ersuchen wir die Behörden gegebenenfalls um Berichtigung unserer Schlussfolgerungen.)

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