Lobau 1973: die Magie des Angelns

Als es einer Gruppe von Idealisten Anfang der 1970er-Jahre gelang, die Lobau vor einer Autobahn und weiterer Zerstörung zu bewahren, war auch ein junger Mann aus Wien-Kagran dabei, dessen Leidenschaft das Angeln war: Peter Herzig, ein enger Freund des nur ein Jahr jüngeren Naturfotografen Josef Hadrigan.

In der letzten Ausgabe der Vereinszeitschrift „Das Steckenpferd“ veröffentlichte der 19-jährige Peter Herzig Anfang 1973 eine sensible und nachdenkliche Beschreibung eines Angeltages. Auf welches Gewässer er sich genau bezieht, bleibt unklar. Bekannt ist nur, dass er um diese Zeit herum in der Dechantlacke gefischt hat.

Die Ausgabe 1/1973 des „Steckenpferd“ existiert nur noch in wenigen Exemplaren. Peter Herzigs Artikel lässt erahnen, wie es damals war, als selbst in der Oberen Lobau meist nur wenige Menschen angetroffen werden konnten, die Fischbestände noch artenreich und üppig waren und es vor Tieren nur so wimmelte. Am Ende seiner Erzählung kommt Herzigs Wut über die geplante Autobahn und die mögliche Vernichtung des Paradieses zutage.

Peter Herzig starb im Dezember 2011. Er wurde nur 57 Jahre alt.

MORGENIDYLLE              

von Peter HERZIG  (1973)        

“Es ist noch vollkommen finster, man sieht kaum zwei Meter weit übers Wasser. Mein Freund und ich haben uns vorgenommen, zeitig in der Früh in die Lobau fischen zu fahren.

Seit drei Uhr sitzen wir nun regungslos auf einem Steg mitten im Schilf. Kein Laut ist zu hören, nur hie und da durchdringt ein Tierschrei die Stille. Die Fische scheinen an unseren ausgelegten Ködern nicht interessiert zu sein, denn die Bissanzeiger hängen seit einer Stunde am Peryl (=Angelschnur), ohne sich bewegt zu haben. Aber wir sind trotzdem zuversichtlich, heute noch Beute zu machen.

Inzwischen ist es heller geworden. Es ist windstill, aber trotzdem ziehen ganz langsam Nebelschwaden vom Wasser ins Schilf. Figuren entstehen, die Wassernixen im Morgenrock gleichen, und die so zierlichen Gestalten verwandeln sich in schreckliche, plumpe Ungeheuer und verschwinden im Schilf.

Ein Platschen schreckt mich aus meiner Träumerei. Einige Meter neben dem Steg war ein Fisch gesprungen. Vermutlich hat der Esox (= Hecht) Hunger verspürt und seinen Tribut gefordert. Ich war wieder im Begriff, in meine Träumereien zu versinken, als ich eine Bewegung am Schwimmer zu sehen glaubte. Ich habe mich wohl getäuscht, denn der Schwimmer steht wieder regungslos zwischen den Seerosen. Plötzlich zieht er blitzschnell ab. Ich schlage an, aber im selben Moment kommt die Pose wieder hoch. Fehlbiss!

Es geht heute schon wieder genauso an wie gestern, als uns die Schleien ärgerten. Naja, Anglerpech. Nach etwa fünf Fehlbissen geht eine an den Haken. Sie ist aber viel zu klein, um mitgenommen zu werden. Deshalb setze ich sie wieder vorsichtig in ihr feuchtes Element zurück. Dort soll sie kräftig abwachsen und als kapitaler Fisch eines Tages einen spannenden Drill liefern. Ich werfe wieder mein Zeug aus und warte.

Inzwischen ist es Fünf geworden. Die Morgennebel haben sich verzogen und drückende Schwüle lastet trotz der frühen Morgenstunde über dem Wasser und im Schilf. Wir schwitzen, und das macht die Gelsen noch stechwütiger und blutdürstiger, als sie es ohnehin sind. Mein Freund beginnt zu fluchen. Darüber merkt er nicht, dass sein Schwimmer verschwindet. Als er die Angelrute ergreift, ist es zu spät. Der Köder ist abgefressen. Er beködert neu und wirft aus.

Mit einem Mal beginnen die Schleien zu beißen, ganz anders als gestern. Bei jedem Anhieb hängt eine am Haken. Sie sind zwar nicht besonders groß, aber jeder Fisch erfreut den Angler.

Diesmal ruckt der Schwimmer meines Freundes ganz anders.

Das kann keine Schleie sein. Die Pose zuckt etwas, geht zwei Zentimeter unter, taucht wieder auf und fährt etwa 30 cm übers Wasser. Als sie sich umlegt und einige Sekunden diese Stellung beibehält, schlägt mein Freund an. Die Rute krümmt sich, der Fisch gräbt sich ein. Man erkennt dies an den aus dem Schlamm aufsteigenden Blasen. Mein Freund vermutet einen Karpfen, ich tippe auf Aal. Nach etwa zehn Minuten ist der Fisch zum Steg hergedrillt. Er kommt zur Oberfläche – es ist ein Aal, ein herrliches Exemplar.

Ich beuge mich zum Wasser, um den Fisch zu keschern, doch mein Freund fürchtet den Fisch zu verlieren, zieht ihn daher mit Schwung auf den Steg und klatscht mir den schleimigen Fisch ins Gesicht. Der Aal windet sich um meinen Hals.

Mein Freund lacht darüber Tränen, aber Hauptsache wir haben das Tier.

Das ist der letzte für heute, denn nachher tritt eine Beißflaute ein; nicht ein einziges Mal noch zuckt eine Pose. Aber die Gelsen stechen weiter.

In der Ferne grollt es leise. Wenige Minuten später fallen die ersten Tropfen, und einen Augenblick danach prasselt es, was das Zeug hält. Wir sind glücklich. Die Gelsen haben uns nämlich fluchtartig verlassen und das schützende Schilf aufgesucht. Aber der Regen löst auch ein fantastisches Konzert aus. Wie auf ein Kommando beginnen plötzlich zahlreiche Laubfrösche zu quaken. Aus allen Richtungen dringen die Laute an unsere Ohren. Es ist ein Chor, der so geheimnisvoll und schaurig schön klingt, wie ihn nur die Natur hervorzubringen vermag.

Doch der Platzregen dauert nur wenige Minuten; wie er begonnen, so plötzlich endet er.

Mit der Zeit beruhigen sich wieder die Frösche und es lastet eine brütende Stille über dem Wasser. Man hört keinen Laut mehr, nur das Summen der Gelsen dringt lästig an das Ohr. Sie quälen uns weiter mit ihren Stichen, obwohl wir bis auf die Haut nass sind.

Wir sitzen nun schon sechs Stunden am Wasser und beschließen, nach Hause zu gehen. Als einige Wildenten einfallen und die Erpel sich um die Weibchen streiten, packen wir unseren Kram und lassen den Enten diesen ungestörten Platz für ihre Liebesspiele.

Dieses Paradies, die Lobau, das nicht nur Fischern und Jägern einen fantastischen Erlebnisraum, sondern auch denjenigen, die in der Stadt leben, eine Fluchtmöglichkeit in die Natur bietet, darf nicht vernichtet werden. Wir müssen daher verhindern, dass die im Bundesstraßengesetz 1971 vorgesehenen Autobahnen A 21 und A 22 sowie die Schnellstraße S 1 der Lobau den Garaus machen.

Ich finde, jeder Österreicher sollte zur Erhaltung der Lobau beitragen, denn die Lobau gehört nicht nur den Wienern, sondern allen Österreichern. Wir müssten uns vor der Welt schämen, wenn wir tatenlos zusehen würden, wie unsere Lobau von nichtdenkenden Menschen zerstört wird!”

 

Anmerkung: Ab den 1960er-Jahren war es Mode, in österreichischen Gewässern atlantische Aale auszusetzen. Sie haben durch ihre räuberische Lebensweise den heimischen Fischarten sehr geschadet. Das Aussetzen von Aalen ist bereits seit längerem verboten.

Fotos von Peter Herzig aus dem Nachlass von Josef Hadrigan.
Ergänzende Fotos von Kurt Kracher und Manfred Christ. Zeichnung von Anton Klein.

Kommentare

  • <cite class="fn">Robert Poth</cite>

    Als Nicht-Fischer bin ich dankbar für Schilderungen wie diese von Peter Herzig. Sie scheinen mir zu bestätigen, dass es sich beim Fischen oder Angeln eigentlich um eine Naturmeditation handelt: Die erforderliche Konzentration (Schwimmer usw.) hilft dabei, das “Schnattern” im Gehirn abzustellen.
    Das erwähnte Laubfroschkonzert hat mich übrigens zu Recherchen veranlasst. Demnach rufen Laubfrösche nur bis max. 22° C und ein “Chorrufen” setzt erst ab 60 Lux abwärts ein, das ist schon ziemlich finster. Daher würde ich eher auf Seefrösche/Teichfrösche tippen.

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