Allen, die ihn erlebt haben, steckt der Winter 1962-63 bis heute in den Knochen.
Er sei in Mitteleuropa die größte Kälteperiode seit 223 Jahren gewesen, wird später festgestellt, für ganz Europa einer der strengsten Winter des 20. Jahrhunderts, eine Naturkatastrophe. In Polen hat es bis zu minus vierzig Grad Celsius, in Würzburg friert der Main vollständig zu, ebenso wie der Zürichsee und der Bodensee.
In der Lobau führt der Rekordwinter zu einem nie dagewesenen Fischsterben.
Der Wintereinbruch erfolgt frühzeitig. Am 17. November friert es in Wien zum ersten Mal, eine Woche später liegt bereits Schnee. Im Dezember ist auf der Donau elf Tage lang Treibeis zu beobachten und an zwölf Tagen schneit es.
Wien komplett eingefroren
Im Jänner und im Februar ist Wien dann buchstäblich komplett eingefroren: ohne Unterlass unter null Grad Celsius, maximal minus 16, durchgehende Schneedecke, insgesamt drei Wochen Schneefall, mehr als sieben Wochen lang Treibeis am Donaustrom.

Der Brennstoff wird knapp. Die Produktion der Gaswerke muss gesteigert werden. Die Feuerwehr kommt wegen Dutzender Einsätze zum Wegräumen von Schneewächten, Eiszapfen und zum Beheben von Wasserrohrbrüchen kaum zur Ruhe. Die Wiener Straßen erleiden erhebliche Frostschäden, manche Fahrbahnen werden zum Teil vollkommen zerstört – wie am Handelskai und auf der Simmeringer Lände. 5000 Wiener Gemeindebedienstete melden sich freiwillig zum Schneeschaufeln und Eiskratzen.
Nur noch tote Fische
Die beiden Naturfotografen Norbert Sendor und Franz Antonicek sind damals – wie schon seit Jahren – in der Lobau unterwegs. Am 26. Jänner 1963 notiert Sendor in seinem Tagebuch: „Große, tote Karpfen an der Gänshaufentraverse, etwa zwanzig Stück.“ Und am 16. Februar: „Nur noch tote Fische, sogar tote Schleien.“
Norbert Sendor: „Unterhalb der Gänshaufentraverse habe ich die toten Welse fotografiert [Anm.: siehe Titelfoto]. Aber die sind eigentlich überall herumgekugelt. In die Untere Lobau ist damals kein Mensch runtergekommen. Das heißt, das Fischsterben ist eigentlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit passiert. Da sind riesengroße Hechte und Zander dort gelegen, tot, und Karpfen, 20, 30 Kilo schwer. Die Kadaver waren ein Ärgernis und wurden vom Forst mit dem Lastwagen stillschweigend weggeräumt.“
Der stinkende Rucksack und die Seeadler
„Kein Mensch hat sich dafür interessiert“, seufzt Sendor, „außer uns und jemand vom Naturhistorischen Museum. Der war unten und hat die toten Fische eingesammelt und in seinen Rucksack gesteckt. Und in der Straßenbahn beim Heimfahren ist ihm dann aufgefallen, dass er eigentlich recht viel Platz hat. Die Leute haben nämlich Abstand gehalten, weil seine Fische so gestunken haben.“
„Auch die Seeadler haben sich über die toten Fische gefreut. Die waren in Österreich offiziell ausgestorben. Nur überwintert haben sie bei uns. Und da kann ich mich erinnern, auf dem Brückengeländer bei der Gänshaufentraverse sind lauter Seeadler gesessen. Ich bin mir vorgekommen wie im tiefsten Innerasien, in Zentralasien. Die haben dort die Fische gefressen.“
Wien lag im Jahr 1963 bis 23. März unter einer Schneedecke, zum letzten Mal gefroren hat es am 4. April.
Fotos: Norbert Sendor, Franz Antonicek


